50 Jahre Eisbär-Eis: In Apensen werden
heute zwei Millionen Eisportionen am Tag produziert
Apensen (ari). Die Schokokruste knackt,
das Waffelhörnchen knuspert, und der Vanillekern zergeht
auf der Zunge: So soll Eis schmecken. Hergestellt wird es
zum Beispiel bei Eisbär in Apensen. Die dortige Fabrik
produziert pro Stunde 8000 Liter Eiskrem, die in ganz Europa
und sogar in Australien Abnehmer finden. Das TAGEBLATT hat
sich in der Produktion umgesehen.
Die weißen Kittel und tief in die Stirn
gezogenen Hauben sowie die drei Lagen Gummihandschuhe der
Arbeiterinnen sollen das Eis schützen: Kein Haar, kein
Pullover-Fussel darf in die sahnigen Törtchen fallen,
die die Frauen an der Eistörtchen-Linie Stück
für Stück auf das Gitterlaufband legen.
Weiße Nebelschwaden kriechen aus der Maschine, an der
Kondenswasser eine glitzernde Kruste gebildet hat. Langsam
werden die Eistörtchen bis zu halber Höhe in ein
lauwarmes Schokoladenbad und wieder hinaus befördert.
Dann rutschen sie in die Kühlkammer, um am anderen Ende
mit erstarrtem Schokoboden wieder aufzutauchen. Die grün
behandschuhten Finger rupfen die Törtchen vom Band und
sortieren sie in Kartons, fertig zum Verschicken in alle Welt.
Eistörtchen sind eine der aufwändigeren Spezialitäten
der Firma Eisbär. Am besten, berichtet Geschäftsführer
Helmut Klehn, laufen immer noch die Evergreens
wie die Fürst-Pückler-Schnitte und das Magic, unser
Vanilleeis am
Stiel mit Schoko-Mandel-Kruste.
Diese und andere Verkaufsschlager produziert Eisbär in
zwei Werken. In Apensen laufen 27 000 braun-weiß-rosa
gefüllte Fürst-Pückler-Schnitten pro
Stunde vom Stapel, im zweiten Werk in Ribnitz-Damgarten
der Kontakt zum Standort kam über die Partnerstadt Buxtehude
zustande werden in der gleichen Zeit 36 000 Magic-Eislutscher
hergestellt. Im Apenser Werk arbeiten insgesamt 220 Leute,
in Ribnitz-Damgarten sind es 160.
Ob Spezialität oder Massen-Verkaufsschlager aller
Eiskrem Anfang liegt im Premix-Tank. Dieser Behälter
für die Basis-Mischung fasst 8000 Liter. Über mehrere
Pipelines fließen aus eiswassergekühlten 30-Tonnen-Tanks
die Rohstoffe in den Premix: Magermilchkonzentrat, Butterreinfett,
Glukosesirup und Pflanzenfett. Über Computer wird die
Zusammensetzung reguliert, dann gemischt und zum Pasteurisieren
bei 85 Grad weitergepumpt.
Nächste Station: Homogenisierung. Aus der Mischung soll
eine völlig gleichmäßige, cremige Masse werden.
Dazu wird der heiße Mix unter einem Druck von
160 atü zertrümmert und anschließend auf plus
drei Grad gekühlt, erläutert Helmut Klehn.
Im Anschluss wird der strapazierten Eiskrem in einem Reifebehälter
eine wohlverdiente Ruhepause gegönnt. Manche sagen,
dass zwei Stunden reichen, aber wir lassen die Mischung mindestens
sechs Stunden lang ruhen, besser noch über Nacht,
sagt Helmut Klehn. Der Grund: Die Qualität wird
besser. Wissenschaftlich nachweisen könne er das
zwar nicht. Aber beurteilen, sagt der gelernte
Konditor,
der im Eisgeschäft aufgewachsen ist und zusammen mit
seinem Partner Martin Ruehs die Firma leitet, die Vater und
Onkel vor 50 Jahren in Neukloster gründeten.
Eine wichtige Zutat wird der Eiskrem erst jetzt hinzugefügt:
Luft. Es ist wie bei Schlagsahne, erklärt
Klehn, aufgeschlagen ergibt es die doppelte Menge.
Das duftige Gemisch kann dann an einer der acht Produktionslinien
in der Apenser
Fabrik weiterverarbeitet werden.
Alvina Kulikow wuchtet einen mit dottergelber Flüssigkeit
gefüllten
Zehn-Liter-Eimer hoch und gießt den Inhalt langsam in
einen Tank: Eierlikör, wie schon von weitem zu riechen
war. Er läuft über eine Leitung in den Verteiler
und wird als Soße über das schon aromatisch duftende
Eierlikör-und-Irish-Cream-Eis gegossen. Eine Spezialität,
die wir hier nur zweimal im Jahr produzieren, bemerkt
Klehn.
Insgesamt stellt Eisbär etwa 200 verschiedene Artikel
her, wobei die Standard-Packung nicht fehlen darf. Die meisten
Eiskrem-Konsumenten sind nämlich konservativ. Vanille
ist seit vielen, vielen Jahren ungeschlagener Favorit,
weiß Helmut Klehn. Auf Platz zwei der Beliebtheitsskala
folge stets Schokoladeneis, im Rennen um Platz drei habe mal
Erdbeer und mal Stracciatella die Nase vorn.
Erfolgreich ist Eisbär aber auch mit Spezialitäten.
Sowohl der Spaghetti-Eisbecher als auch die Mini-Waffelhörnchen
und der Erdbeer-Cocktailbecher räumten Goldmedaillen
der Deutschen Landwirtschaftlichen Gesellschaft ab.
Weltweite Furore hat Eisbär aber vor allem mit dem Patent-Eis
Tropf nix gemacht. Das 2003 auf den Markt
gebrachte Eis am Stiel, das auch dann nicht tropft, wenn es
schmilzt, hat bei vielen Zeitungen in Deutschland,
aber auch in England und den USA für fette Schlagzeilen
gesorgt.
Sogar das Magazin der ehrwürdigen New York Times brachte
eine große Hintergrundgeschichte. Das Patent-Eis schmeckt
ungefähr wie gefrorene Gummibärchen und ist damit
in erster Linie ein guter PR-Artikel, berichtet
Helmut Klehn.
Nicht jede Eis-Sorte braucht übrigens eine eigene Linie.
Um von runden Törtchen auf Tannenbäume oder Sterne
umzusteigen, brauchen nur
einige Teile ausgewechselt zu werden.
Ob Zimtsterne oder Schokohörnchen, Eis am Stiel oder
Fürst-Pückler-Schnitte: Bevor das Eis ins Kühllager
und von dort in die ganze Welt wandert, müssen Stichproben
das Labor passieren. Die erste Probe wird schon aus der fertigen
Mischung im Premix-Tank entnommen, die zweite aus jeder fertigen
Partie.
Jeder Tank wird sensorisch, mikrobiologisch und chemisch
untersucht, erklärt die Labor-Mitarbeiterin Corinna
Babis. Der sensorische Test ist ein Schleck-Test: Wir
probieren, ob Erdbeer auch wirklich nach Erdbeer schmeckt,
riecht und aussieht.
Chemisch wird analysiert, ob die Fett-, Zucker- und sonstigen
Anteile im Mix so wie immer sind. Babis macht beim fertigen
Eis auch den Tauchtest, bei dem sie das Eis in einen Messbecher
mit Wasser hält, der auf einer Digitalwaage steht: Damit
messe ich die Dichte. Und zur mikrobiologischen Untersuchung
träufelt sie wirklich etwas Eiskrem in eine Petrischale
und stellt diese in einen Wärmeschrank, in dem womöglich
enthaltene Bakterien die Chance haben zu gedeihen und damit
entlarvt zu werden. Die Quarantänezeit muss eingehalten
werden,
erläutert Babis. Helmut Klehn ergänzt: Sofort
liefern geht deshalb nicht,
auch wenn die Kunden noch so drängeln.
Ist das Labor überstanden, muss das Eis noch durch den
Metalldetektor, bevor es endgültig maschinell verpackt
wird. Jede der 100 Millionen Fürst-Pückler-Schnitten,
die hier pro Jahr durchlaufen, wird darauf geprüft,
ob ein Schräubchen hineingefallen ist.
Die eingeschweißten Schnitten landen in Kartons und
schließlich in der Kühlhalle. Über dem Eingangstor
wachsen bizarre Eisgebilde, in der Halle herrschen minus 20
Grad Celsius. Besuchern wird hier zum ersten
Mal auf dem Fabrikgelände richtig kalt.
Bei den trotzdem nur mäßig dick verpackten Gabelstapler-Fahrern,
die inder Halle zwischen den Eiskarton-Türmen hin und
her sausen, sind Erkältungen nicht häufig, wie eine
Nachfrage ergibt: Im Gegenteil, wir sind an die Temperaturunterschiede
gewöhnt. Und im Sommer genießen wir das Arbeiten
in der Kälte sogar sehr.
Möglichst bald soll noch eine Kühlhalle gebaut werden,
sagt Helmut Klehn, und zwar mit mehr als doppelt so hoher
Kapazität wie die alte. Denn bei derzeit täglich
über zwei Millionen Eisportionen aus Apenser Herstellung
sei der
Bedarf groß. Und die Nachfrage wächst weltweit.