Fürst-Pückler-Eis
glaubt jeder zu kennen. Doch das täuscht. Seine Herkunft
und seine ursprüngliche Gestalt liegen im Dunkeln.
Lediglich über die Herren Pückler und Schulz
(oder Schultz?!) führt eine Spur zum Original und
zu den Gründen für seine Existenz
VON LARS KLAASSEN
Was das Fürst-Pückler-Eis mit Hermann Ludwig
Heinrich Graf (später: Fürst) von Pückler
auf Muskau verbindet, ist altbekannt: Pückler war
Namensgeber für die Eisspeise. Dennoch liegt hier
ein Kapitel jüngerer deutscher Geschichte im Dunkeln,
denn Gewissheit besteht lediglich über zwei Tatsachen:
Die Original-Kreation ist nicht blaublütiger Abstammung,
und es handelt sich dabei auch nicht um Erdbeer-, Vanille-
und Schokolade-Aromen, die zwischen zwei pappige Waffeln
geklemmt werden.Hermann von Pückler-Muskau machte
sich einen Namen als genialer Gartenarchitekt, reiselustiger
Sonderling und notorischer Liebhaber. Kurz nach einer
Erbschaft im Jahre 1811 investierte er sein gesamtes Vermögen,
auch das seiner Gattin Lucie, in sein Idealbild eines
Landschaftsparks im Neißetal. Die Leidenschaft für
den Park ging so weit, dass er sich - im besten Einvernehmen
mit seiner Frau - sogar scheiden ließ, um mit Hilfe
einer neuen, guten Partie an weitere Mittel für die
Fortsetzung seiner Pläne zu gelangen. Der exzentrische
Snob war nebenbei aber auch Gourmet und Gourmand.Trotz
ständiger Geldnöte bestellte er sich Butter
aus Holstein, Gänseleberpastete aus Toulouse, Konfitüren
aus Paris. Bei einem Aufenthalt im französischen
Argelès verzehrte er der Reihe nach "eine
Fleischbrühe mit verlorenen Eiern, zwei Forellen
(die eine blau, die andere auf dem Rost gebraten), Ortolanen
(Ammern, die seinerzeit noch als Speisevögel galten
und verzehrt wurden), ein Fricandeau, eine Wachtel à
la Maître dHôtel, drei gebratene Krammetsvögel,
zwei Sahnespeisen mit Orangenblüten, Obstkuchen,
ausgezeichnete Nüsse, Äpfel von Saint-Savin,
zum Abschluss Landkäse mit frischer Butter, dazu
eine gute Flasche Bordeaux". Der Mann war offensichtlich
ein guter Esser. Speisen aber kreierte er nicht, weder
warme noch kalte.Vater der fürstlichen Eisspeise
war Konditormeister Schultz. Diesem gab Pückler lediglich
die Erlaubnis, der kulinarischen Komposition seinen Namen
zu verleihen. Nicht nur die Schreibweise (manchmal auch
ohne t geschrieben), auch die Herkunft des Konditormeisters
ist umstritten. Er wird je nach Quelle in Muskau, Cottbus
oder Berlin verortet.Ein bisschen genauer weiß man
es im Cottbusser Fürst-Pückler-Museum: Er schrieb
sich Schultz und wirkte in Muskau, heißt es dort,
die Konditorei wurde noch bis in die Zwanzigerjahre des
vergangenen Jahrhunderts von Familie Brambach weitergeführt.
Darüber hinaus bleibt Schultz eine Schattengestalt.Warum
aber ausgerechnet ein Konditor eine Eisspeise erschuf
und diese nach dem Fürsten Hermann von Pückler-Muskau
benennen wollte, hat einleuchtende Gründe: Im frühen
19. Jahrhundert wurden in Konditoreien neben Torten auch
Eisspeisen hergestellt.
Die Komposition des Konditors Schultz bezieht sich zudem
optisch auf das Haus Pückler-Muskau. Sie orientiert
sich an den Farben des Familienwappens: schwarz, gelb,
rot. Dessen Gestalt, mit Fürstenhut und Hermelinpelz,
hatte der Fürst höchstpersönlich in Auftrag
gegeben. Und damit spannt sich der Bogen von der Optik
zur Politik. |
Die
Ladenlokale der Konditoreien spielten in diesen Tagen
nicht nur eine kulinarische, sondern auch eine politische
Rolle: Selbst in den kleinsten Bäckereien lagen
Zeitungen und belletristische Journale aus, in den größeren
"fast alle beachtenswerthen des In- und Auslands",
wie der Zeitzeuge Robert Springer vermerkte. Um die
Lesenden nicht zu stören, wird allgemein geflüstert.
"Ist der Berliner sonst auch gesprächig, so
liebt er doch in der Konditorei die Stille." Eine
Ausnahme ist "Steheley", geschätzt wegen
seines vorzüglichen Kaffees. Im "Roten Zimmer"
darf laut geredet werden, hier sammeln sich Literaten,
Professoren, Schauspieler, zuweilen sogar Adlige, und
diskutieren öffentlich. Und genau dort dürfte
auch Pückler regelmäßig anzutreffen
gewesen sein.Der Fürst hielt sich regelmäßig
in Berlin auf, wo er Unter den Linden residierte. Er
verkehrte in den Salons, die neben der Kultur auch die
politische Debatte pflegten. Pückler machte sich
einen Namen durch zu jener Zeit linksextreme Positionen:
Er forderte eine Verfassung und die Einführung
der konstitutionellen Monarchie wie in Großbritannien.
1834 erschienen nicht nur seine "Andeutungen über
Landschaftsgärtnerei", sondern auch sein Buch
"Tutti-frutti". Wie der Titel andeutet, enthält
es eine bunte Textsammlung - darunter eine schauerromantische
Erzählung, politische Leitartikel, Abhandlungen
über den preußischen Staat und der Entwurf
einer Verfassung sowie Aphorismen, die sich für
Sklavenbefreiung, Pressefreiheit und die Trennung von
Kirche und Staat einsetzen.Was das Ganze mit Eis zu
tun hat? Neben der politischen Schnittmenge mit Konditoreien
im Allgemeinen gibt es eine namentliche mit dem Café
Kranzler, das damals noch Unter den Linden, unweit von
Pücklers Refugium, seine Adresse hatte: Dort war
eine halbgefrorene Süßspeise erhältlich.
Sie hieß "Tutti-frutti", und ihr Umsatz
soll sich nach Pücklers Buchveröffentlichung
verdoppelt haben. Das beeindruckte vielleicht auch den
Konditor Schultz - jedenfalls bat er um Erlaubnis, den
Namen des Fürsten verwenden zu dürfen.Fürst-Pückler-Eis
ist bis heute ein stehender Begriff. Das Original-Rezept
scheint indes verschollen und wird unterschiedlich ausgelegt.
Er habe "lange danach gewühlt", erinnert
sich zum Beispiel Heinz Ohff, Autor mehrerer Bücher
über Pückler-Muskau, "aber Rezepte finden
sich lediglich in Büchern über den Fürsten
- und das auch in verschiedenen Varianten". Dies
gilt auch für kulinarische Lexika. Insbesondere
die Farbfolge spaltet die Fachwelt, und die Frage, ob
ein Fürst-Pückler-Eis mit geschlagener Sahne
verzehrt werden darf, könnte einen Kongress platzen
lassen.Im besten Wissen um die Unklarheiten, aber mit
dem Wunsch, den noch jungen Zweig der Fürst-Pückler-Eis-Forschung
voranzubringen, sei hier ein Rezept als "Annäherung
an Konditormeister Schul(t)z" notiert, wie es unter
anderem bei www.lemenue.de verzeichnet ist:
200 g frische Erdbeeren¾ l Sahne3 EL Zucker6
Mandelmakronen4 EL Maraschino80 g Bitterschokolade1
EL abgeriebene Schale einer unbehandelten Orange1 EL
Milch
Die Sahne zusammen mit dem Zucker steif schlagen und
in drei Portionen teilen. Die Mandelmakronen zerkrümeln
und mit Maraschino beträufeln, die Erdbeeren waschen,
putzen und im Mixer pürieren, die Schokolade zusammen
mit der Orangenschale und der Milch im heißen
Wasserbad schmelzen und etwas abkühlen lassen (aber
nicht fest werden lassen!). Eine Sahneportion mit dem
Erdbeerpüree verrühren, eine weitere Portion
mit der Schokoladenmasse vermengen, die Makronen unter
den letzten Sahneteil mischen. Eine Königskuchen-
oder Rehrückenform sehr kalt ausspülen, zuerst
die Makronencreme darin verteilen und für einige
Minuten im Tiefkühlschrank anfrieren lassen. Die
Erdbeermasse darauf verteilen und ebenfalls kurz anfrieren
lassen, anschließend die Schokoladencreme darauf
streichen. Das Ganze im Tiefkühlschrank über
Nacht vollständig gefrieren lassen.
Nach Genuss größerer Mengen empfiehlt sich
ein Aquavit oder Malteser. Aber damit hatten die Herren
Pückler und Schultz nun wirklich gar nichts zu
schaffen.
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