Prince Pickle und die Sklavin: Fürst Pückler
kaufte Machbuba in Ägypten / Liebesgeschichten, erzählt
von Rolf Schneider
Mit dem Namen Fürst Pückler verbinden die meisten
eine Schnitte Halbgefrorenes, komponiert aus Vanille-, Schokoladen-
und Erdbeereis. Manche wissen, daß der Mann als Gartengestalter
im sächsischen Bad Muskau und in Branitz bei Cottbus
bedeutende Parkanlagen schuf. Daß er daneben ein vorzüglicher
Prosaschriftsteller war und ein Weltenbummler von zu Zeiten
europäischer Prominenz, ist kaum noch jeman-dem geläufig.
Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau wurde 1785
geboren, als das Kind schwerreicher und miteinander völlig
verzankter Eltern, die sich später scheiden lie-ßen.
Zur Erziehung kam er unter anderen zu den Herrnhutern, deren
radikale Frömmigkeit bei ihm genau das Gegenteil bewirkte,
nämlich einen lebenslangen Hang zu ausschweifendem Genuß.
Er wurde danach von Hauslehrern unterrichtet, studierte ein
wenig die Rechte und begann eine Offizierslaufbahn in der
sächsischen Armee.
Als er fünfundzwanzig war, starb sein Vater; er wurde
Besitzer von Ländereien, die eine Ausdehnung von 550
Quadratkilometern hatten und zu denen eine Stadt, 45 Dörfer,
20 Pachthöfe, außerdem Mühlen, Wälder,
Fabriken und Mineralquellen gehörten. Er war damit einer
der reichsten Männer in Deutschland: auf dem Papier,
denn seine Besitzungen waren schwer verschuldet, vornehmlich
durch ihn selbst, da er als Student und Offizier das Geld
mit vollen Händen ausgegeben hatte. Zudem gab es Mißernten,
und es herrschte Krieg: Napoleons Truppen durchzogen das Land,
was alles zusam-men Pücklers Revenuen fast zum Erliegen
brachte und seine Schulden anwachsen ließ.
Für junge Leute aus vornehmer Familie, die auf Geldsuche
waren, blieb der übliche Weg einer Brautschau im Milieu
der Begüterten. Auch Pückler verfuhr so. Seine Wahl
fiel auf Lucie, Tochter des preußischen Staatskanzlers
von Hardenberg; ihre noch be-stehende Ehe mit dem Reichsgrafen
von Pappenheim existierte nur mehr formell und sollte bald
geschieden werden.
Als Pückler um Lucie warb, fuhr er vor ihrem Berliner
Haus in einer von vier zahmen Hirschen gezogenen Kutsche vor;
dies erregte ein außerordentliches Aufsehen und wurde
gleich in einer Zeichnung festgehalten. Lucie ließ sich
beeindrucken und gab ihr Jawort.
Sie war neun Jahre älter als Pückler. In ihrer
Jugend galt sie als attraktiv, jetzt war sie etwas füllig
geworden.
Sie hatte zwei fast erwachsene Töchter, von denen eine,
Helmine, die erotische Be-gehrlichkeit Pücklers so sehr
erregte, daß er seiner Lucie allen Ernstes eine Ehe
zu dritt vorschlug, worauf sie aber nicht einging. Sein Schwiegervater
versorgte ihn mit dem Fürstentitel.
Dabei ließ Pückler keinerlei Zweifel daran, daß
seine Verbindung mit Lucie nichts weniger denn eine Liebesheirat
war; er hatte sich völlige sexuelle Freiheit ausbedun-gen,
was sie ihm aufseufzend gewährte. Zum Dank schrieb er
ihr zahllose Briefe, in denen er ausführlich alle seine
Abenteuer dartat, auch die erotischen. Er nannte sie Schnucke.
Er hatte drei überaus kostspielige Leidenschaften:
das Reisen, das Anlegen von Park-gärten und die Frauen.
Gereist war er schon als junger Mensch, quer durch Deutschland,
quer durch die Schweiz und bis nach Italien; er war auch in
Weimar gewesen und hatte den für Gebildete obligaten
Besuch bei Goethe absolviert, mit dem er sich über dessen
Parkanlage an der Ilm unterhielt. Spätestens hier festigte
sich seine exzessive Leidenschaft für die Gartengestaltung
nach englischem Vorbild.
In Muskau kündigt er seinen Pächtern und ließ
für sehr viel Geld einen Landschafts-park anlegen. Trotz
seiner Heirat mit der Schnucke waren seine Schulden nicht
we-sentlich geringer geworden, denn die geborene Hardenberg
verhielt sich in Gelddingen ebenso verschwenderisch wie ihr
Mann. Um dieser mißlichen Situation abzuhelfen, hatte
Lucie einen bizarren Einfall: Die Pücklers sollten ihre
Ehe, die ohnehin bloß auf dem Papier bestand, auflösen
lassen, auf daß Pückler frei würde für
eine andere Hoch-zeit mit einer begüterten Frau. Die
Scheidung wurde vollzogen, und Pückler brach auf nach
England, das fortgeschrittenste Land des Kontinents, wo, so
meinte er, besonders stattliche Vermögen zu holen waren.
Er blieb zwei Jahre. Er bereiste alle Regionen südlich
des Tweed, außerdem Irland. Er hatte ungezählte
Affären, darunter eine mit der Sängerin Henriette
Sonntag, doch eine millionenschwere Braut fand er nicht. In
den britischen Salons brachte er es als Prince Pickle (Essiggurke)
zu einer gewissen Berühmtheit; Charles Dickens porträtierte
ihn in seinen "Pickwickiern". Seiner Schnucke sandte
er viele Briefe.
Als er 1829 zurückkehrte, waren seine Schulden abermals
gewachsen. Da hatte die Schnucke den Einfall, Pücklers
Reisebriefe, gereinigt um die darin reichlich ausgebrei-teten
Erotica, zu einem Buche zusammenzufassen. Der Band kam heraus
und wurde zu einem außerordentlichen Erfolg, Übersetzungen
erschienen bis hin nach Amerika. Pückler ließ weitere
Bände Reisebilder und Feuilletons drucken. Die eintreffenden
Honorare erleichterten ihm seine desaströse wirtschaftliche
Situation.
Er brach zu neuen Reisen auf. Er fuhr nach Nordafrika und
Griechenland. Die damals angesehenste Tageszeitung in Deutschland,
die "Augsburger Allgemeine", für die auch Heinrich
Heine schrieb, beschäftigte ihn als ihren Korrespondenten.
Der türkische Vizekönig Ägyptens, Mehmet Ali,
autokratischer Herrscher des Landes am Nil, lud ihn zu einem
Besuch ein, und Pückler leistete Folge. Anfang Januar
1837 erreichte er den Hafen von Alexandria.
Er reiste in großer Begleitung, mit einem Arzt, einem
Dolmetscher, einem Sekretär, einem Kammerdiener und einem
Pagen; die Kosten für alles trug Mehemed Ali, das Reiseziel
lautete Oberägypten. Um bei alledem die Freuden der Liebe
nicht entbehren zu müssen, begab sich Pückler auf
den Sklavenmarkt von Kairo, um sich eine Bettgenossin zu kaufen.
"Woher des Himmels Namen", schwärmte er, "haben
diese Mädchen, die barfuß gehen und nie Handschuhe
tragen, diese zarten, gleich einem Bildhauermodell geformten
Hände und Füße; sie, denen nie ein Schnürleib
nahekam, den schönsten und festestes Busen; solche Perlzähne
ohne Bürste noch Zahnpulver, und obgleich meistens nackt
den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, doch eine Haut von
Atlas, der keine europäische gleichkommt und deren dunkle
Kupferfarbe, gleich einem reinen Spiegel, auch nicht durch
das kleinste Fleckchen verunstaltet wird?"
Er erstand für eine "ziemlich ansehnliche Summe"
eine junge Abessinierin. "Sie war, als ich sie kaufte,
zehn Jahre alt, aber schon körperlich vollkommen und
üppig ausge-bildet. Alle Sinne schon in der Blüte,
der Geist aber noch wie ein unbeschriebenes Blatt." Er
nahm das Mädchen mit auf das Schiff, das ihn den Nil
hinanschipperte. Als die erste Etappe der Reise hinter ihm
lag, wußte er, daß er sich rettungslos verliebt
hat-te.
Sie trug den Namen Ajiamé. Anfangs mußte er
sich mit ihr über einen Dolmetscher verständigen.
Dann brachte er ihr das Italienische bei, was sie ziemlich
rasch erlernte, worauf er sich mit ihr ohne fremde Hilfe unterhalten
konnte. Er erfuhr, daß sie eigent-lich Machbuba hieß,
was "die Goldene" bedeutete und sich offenbar auf
die Farbe ih-rer Haut bezog, die, laut Pückler "einem
über Goldplatten ausgebreiteten dunklen Sei-denflor"
glich. Sie stammte aus der äthiopischen Provinz Guma,
aus der Familie eines Hofbeamten, war im Krieg verschleppt
und auf den Sklavenmarkt gebracht worden.
Pücklers Aufenthalt zog sich hin. Er bereiste Ägypten,
dann Palästina. Machbuba blieb immer bei ihm, in Mameluckenkleidung,
sie erwies sich als eine vorzügliche Reiterin. Gemeinsam
überstanden sie Unfälle und Krankheiten. Ihre Reise
ging weiter nach Sy-rien und schließlich nach Konstantinopel.
Nach fast drei Jahren kehrte der Fürst dann nach Mitteleuropa
zurück, in seiner Begleitung waren mehrere Pferde und
seine äthio-pische Geliebte Machbuba. Er hatte in all
dieser Zeit getreulich lange Briefe an seine Schnucke geschrieben.
Er hatte ihr vorsichtig von Machbuba erzählt und mitgeteilt,
er gedenke die schöne Sklavin nach Deutschland mitzubringen.
Seine geschiedene Frau entsetzte sich darüber; sie hatte
bisher alle Amouren ihres Ex-Mannes geduldet, die Farbige
aus Äthiopien war ihr zuviel: "Sieh es nicht als
prüde Widerspenstigkeit mei-nerseits an, wenn ich die
türkische Sitte nicht mit mir vereinbar finde."
Er ließ sich von seinem Entschlusse nicht abbringen:
"Ich habe mich so an sie gewöhnt."
Pückler war auf der Donau bis Budapest gereist und fuhr
weiter bis nach Wien. Er gab Machbuba als sein Adoptivkind
aus; es "glaubte kein Mensch dieses Märchen, aber
alle taten so, um ihre Neugierde befriedigen zu können.
Minister und Große luden sie mit mir zur Tafel, die
vornehmsten Damen besuchten sie im Hotel, wo ich wohnte, unter
denen die Oberhofmeisterin der Erzherzogin Palatin gar keinen
Anstoß daran nahm, daß in Machbubas Schlafzimmer,
wohin sie aus Versehen geführt wurde, zwei Betten standen."
Sie blieben für mehrere Wochen in Österreich, dann
wollten sie nach Muskau reisen. Da erkrankte Machbuba. Die
Sache erwies sich als äußerst hartnäckig,
das Mädchen magerte zusehends ab, und nicht einmal der
Leibarzt des Staatskanzlers Metternich konnte ihr helfen.
"Die arme Machbuba ist wie ein Skelett", schrieb
Pückler, "und ich fürchte sehr für sie."
Im September 1840 langte er mit ihr in Muskau an, wo sie trotz
aller medizinischen Bemühungen immer noch weiter verfiel.
Die Schnucke, die nur immer abfällig von der "todkranken
Mätresse des Fürsten" sprach, rief Pückler
nach Berlin. Er leistete Folge, während in seinem sächsischen
Schloß seine äthiopische Freundin langsam zugrunde
ging. Der behandelnde Arzt schickte ihm ausführliche
Krankenberichte, die ihn sonderbar wenig zu berühren
schienen, er selbst wechselte mit der Geliebten ein paar Briefe
in italienischer Sprache.
Ende Oktober mußte der Arzt dann rapportieren: "Gestern
noch versuchte sie an Euer Durchlaucht zu schreiben, und als
die Schwäche sie an der Fortsetzung hinderte, sagte sie:
Scrivete un buon, buon addio al mio caro Principe. Sie starb
ruhig oder ist viel-mehr in ruhigen Atemzügen eingeschlafen.
Gott lasse sie sanft ruhen."
Erst da begann Pückler den Verlust zu begreifen, und
erging sich in wortreicher Trau-er: "Hätte ich meiner
ahnenden Besorgnis gefolgt, so wäre ich zur rechten Zeit
dagewesen - Gott hat es nicht gewollt! Und mir bleibt der
bittere Schmerz und eine Sehn-sucht, welche die Zeit schwächen,
aber nie mehr befriedigen kann."
Er fuhr nach Muskau, setzte sich an Machbubas Totenbett und
klagte vor sich hin. Dann ließ er sie im Park von Muskau
beisetzen, an ihrem Grabe vergoß er "im Schein
des Mondes viele heiße Tränen".
Er trauerte sehr ausführlich. Er betrieb einen förmlichen
Totenkult um Machbuba, ganz nach dem Stil der Schauerromantik,
in deren literarischem Dunstkreis er groß geworden war.
Schloß und Park Muskau mußte er später verkaufen,
um endlich seine Schulden bezahlen zu können; er zog
in seinen anderen Besitz Branitz und nahm das Bildnis der
toten Geliebten mit. Auch in Branitz legte er einen Park an,
schrieb weiter-hin Bücher und hatte bald wieder allerlei
leidenschaftliche Amouren.
Er wurde 86 Jahre alt. Er starb wenige Wochen nach der Gründung
des Deutschen Kaiserreiches im Schloß von Versailles.
Er ließ sich beisetzen in einem eigens errichteten Totenhügel
des Branitzer Parks. Machbubas Bildnis hängt heute noch
im dorti-gen Schloß. Sie trägt einen Turban, einen
Mameluckenanzug und sieht sonderbar and-rogyn aus.