Was für eine Überraschung: Nachdem
Karen Duve in ihrem letzten Roman Dies Ist Kein Liebeslied
die Malaisen der vom Selbstverbesserungswahn der Unterhaltungsmedien
terrorisierten 20- bis 40-Jährigen seziert hatte, hat
sie mit Die Entführte Prinzessin jetzt ein
Märchen geschrieben. Und zwar keine moderne Tongue-in-cheek-Version
mit SMS-Romanzen und Laptop-Ritterinnen, sondern eine ganz
klassische Geschichte voller Königsfamilien, Schlösser,
Drachen und herzzerreißender Liebe.
Was auf den ersten Blick vor allem für
popverliebte Fantasy-HasserInnen, die den schonungslosen Nihilismus
ihres letzten Romans so verehrten, schwer verdaulich wirkt,
entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als fesselnder Eskapismus
mit goldenem Herz und tonnenweise Witz. Während die Autorin
ganz bewusst der Versuchung widerstanden hat, alles mit postmoderner
Ironie zuzukleistern und sich damit aus der Verantwortung
des Genres zu stehlen, handeln und sprechen die Figuren in
ihrem historischen Cross-over aus verschiedensten Jahrhunderten
vor unserer Zeit so, dass wir das heute auch noch mühelos
nachvollziehen können. Der elaborierte, spannende Plot
um die schöne, arme, stolze Prinzessin aus dem kargen,
ungehobelten Nordland und den verwöhnten, reichen, nihilistischen
Prinzen aus dem paradiesischen Südland verhandelt allgemein
Menschliches wie Machtdynamiken in Liebesbeziehungen, das
Nichtgenügen gegenüber elterlichen Ansprüchen
und den sprichwörtlichen »Rite of Passage«.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nach Dies
Ist Kein Liebeslied, das ja eine Art düsterer Poproman
über Selbsthass, unerfüllte Liebe und Bulimie war,
so ein luftiges Märchen zu erzählen?
Die beiden Bücher hängen ursächlich miteinander
zusammen. Während ich Dies Ist Kein Liebeslied
schrieb, bekam ich irgendwann eine schwer depressive Phase.
Es ging mir richtig schlecht, da die Geschichte einen durchgehend
finsteren Ton hat und so angelegt war, dass sich die Hauptperson
nicht entwickeln wird. Ich habe das dann unterbrochen und
angefangen, etwas zu schreiben, das mir Spaß bringt.
Das war der Anfang von Die Entführte Prinzessin
das war so ein befreiendes, lustiges Schreiben, das
mir besser gefiel, als ich gedacht hatte.
Haben Sie befürchtet, dass man Ihnen dieses
höchst opulent ausgeschmückte Märchen in Zeiten
von Sozialabbau und Rezession auch als Eskapismus auslegen
könnte?
Mir war ziemlich schnell klar, dass das Buch etwas mit Eskapismus
zu tun hat. Wobei das nicht heißen muss, dass man davon
nur betäubt wird und dabei eindämmert. Eskapismus
kann trotzdem geistig erfrischend sein. Meine ersten eigenen
Leseerfahrungen hatten auch immer etwas mit Eskapismus zu
tun, denn das bedeutet auch, einen Ausweg zu finden aus der
Welt, in der man sich gerade befindet. Ich denke nicht, dass
das Buch einen so völlig in einem Fantasie-Universum
versinken lässt, denn ich habe wenn auch unabsichtlich
einen kleinen Fehler eingebaut: An vielen Stellen finden
sich ironische Einsprengsel, die ja eigentlich den Tod von
Eskapismus bedeuten.
Würden Sie sagen, dass Sie trotz des prächtigen
Dekors und der fantastischen Handlung universelle Erfahrungen
thematisieren?
Die drei Hauptfiguren könnten auch in einer Berliner
WG leben, nur die Deko ist ein bisschen anders! Ich wollte
ein Märchen schreiben, weil das eine Form ist, in der
ganz existenzielle Probleme auf eine sehr schlichte und auch
naive Art erzählt werden können. Man hat die Möglichkeit,
wichtige Sachen scheinbar oberflächlich zu thematisieren,
indem man die Figuren alles ausagieren lässt, ohne viel
zu psychologisieren. Man trägt dann halt ein bisschen
dicker auf der notorisch mit seinem Sohn unzufriedene
Vater des Ritters Bredur will ihn beispielsweise immer gleich
ganz umbringen! So was hört man ja selten von seinen
Eltern jedenfalls nicht so offen.
Das Buch sprudelt über vor pittoresken
Ideen. Eine besonders wichtige Rolle neben all den Ungeheuern
und merkwürdigen Pflanze/Tier-Hybriden spielen ja die
Hofzwerge. Wie kamen Sie darauf?
Wenn die Sachen ganz seltsam sind und man denkt, das ist jetzt
aber ein bisschen weit hergeholt, dann sind sie meistens echt.
Dass die Hofzwerge, zu denen ich viel recherchiert habe, in
Papageienkäfigen herumgeschleppt wurden oder bei Tisch
aus Pasteten springen mussten, das gab es tatsächlich.
Am russischen Zarenhof wurden parallel zu regulären Hochzeiten
Zwergenhochzeiten inszeniert. Es wurden auch Zwerge gezüchtet
auf diese ganz unangenehmen Seitenaspekte habe ich
dann aber verzichtet. Fürst Pückler hatte
tatsächlich einen Zwerg, der für das Panaroma immer
auf einer Bank gegenüber von einer Pyramide sitzen musste.
Er hatte auch einen arbeitslosen Soldaten angestellt, der
als Eremit in einer Höhle leben und zweimal am Tag rauskommen
und ein Buch lesen musste. Ich fand das interessant, weil
es die Tendenz heute auch gibt. Die Zeitschriftenläden
sind voll von Dekorationsheften für Leute, die aus dem
Alter draußen sind, wo sie sich gerne schöne Klamotten
kaufen, und stattdessen die Serviettenringe auf die Regale
abstimmen. Das gab es damals schon, bloß in einem größeren
Stil.
Fürst Pückler
Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871), Landschaftsplaner,
Schriftsteller und Dandy, schuf mit dem Branitzer Park bei
Cottbus mit seinen thematisch differenzierten Zonen den bedeutendsten
deutschen Landschaftsgarten des 19. Jahrhunderts. Billy Masser
(1824-1907), »der Hofzwerg der Pücklers«,
wurde 1841 von Gattin Lucie begeistert in die Familie aufgenommen
und war nach ihrem Tode ein enger Vertrauter des Fürsten.