Ein
fiktiver Spaziergang mit Fürst Pückler-Muskau durch
den Branitzer Park
Von
Alexander Winker
BM
Cottbus - Der Blick des Fürst Hermann von Pückler-Muskau
schweift über das rege Treiben vor seinen Augen. Er schaut
den zahlreichen Arbeitern zu, die ihm vom nächstliegenden
Gefängnis zur Verfügung gestellt wurden. Sie heben
im Branitzer Park einen künstlichen See aus und bewegen
dabei 90 000 Kubikmeter Erde.
Inmitten
dieses Sees lässt sich der Fürst sein eigenes Grab
schaufeln. Die Arbeiter türmen eine 40 mal 40 Meter große
und 20 Meter hohe Erdpyramide auf, in der der Fürst am
9. Februar 1871 beigesetzt werden wird.
Pückler-Muskau
entstammt keinem alten ägyptischen Pharaonengeschlecht.
Er residiert seit 1846 in Branitz bei Cottbus in der Niederlausitz.
Zufrieden
mit dem Verlauf der Bauarbeiten setzt der Fürst mit seinem
Besucher, dem Baumeister der gleichnamigen Oper in Dresden,
Gottfried Semper, den Spaziergang durch den Branitzer Landschaftspark
fort. Pückler führt seinen Gast von der Pyramide
auf verschiedenen gewundenen Wegen durch die Anlage Richtung
Schloss Branitz. Der Fürst erklärt Semper, wie er
den Park durch Baumgruppen in kleinere Räume aufgeteilt
hat. So ist es ihm gelungen, die wahren Grenzen des Gartens
zu verschleiern und ihn größer erscheinen zu lassen.
Die
Wege sind den beiden Spaziergängern stumme Führer
durch eine Kunstausstellung. Pückler bleibt von Zeit
zu Zeit stehen und weist Semper die ständig wechselnden
Ausblicke auf die Landschaft. Der Baumeister lobt die mit
sicherer Hand platzierten Baumgruppen und Lichtungen als Kunstwerke
von Pücklers Hand. Der Fürst ist geschmeichelt und
erklärt sich: «Kunst ist das Höchste und Edelste
im Leben, denn es ist Schaffen zum Nutzen der Menschheit.»
Heute
gilt der Branitzer Park als Höhepunkt und Abschluss des
deutschen Landschaftsgartenbaus und steht auf der Unesco-Liste
der weltweit zu schützenden Naturdenkmäler. Fürst
Pückler schafft es aus der platten, öden Landschaft
der Niederlausitz ein von künstlichen Wasserläufen
und Teichen sowie Hügeln und gewundenen Wegen durchzogenes
Landschaftskunstwerk.
Die
beiden erreichen das Schloss, in dem Pückler fünfundzwanzig
Jahre wohnte. Semper hatte den 1696 errichteten Bau zu Pücklers
Umzug von Muskau nach Branitz in den Jahren von 1847 bis 1852
umgebaut. Im Schloss angekommen, legt der Fürst wie jeden
Abend seine orientalische Kleidung an und setzt sich, mit
Fez auf dem Kopf und eine Wasserpfeife rauchend mit Semper
in seine orientalischen Gemächer.
Der
Mohr Joladur, den Pückler aus Ägypten mitgebracht
hatte, serviert ihnen Mokka, über dem Pückler ins
Erzählen kommt. «Es war mir immer ein Bedürfnis,
ehe ich zu alt werde, noch fremde Länder zu sehen.»
Neugier treibt ihn sein ganz Leben zu Reisen, die ihn die
Enge seiner Heimat vergessen lassen, in der er kaum Gleichgesinnte
findet. Sein exzentrischer Lebensstil erregt zwar Aufsehen
- in Berlin lässt er vor seine Kutsche statt Pferden
Hirsche spannen - er verschafft ihm aber am Hofe keine Anerkennung.
Seine
ungezählten Liebschaften, die in Briefen publik werden,
sind ein Skandal.
Pückler
schwärmt voll Sehnsucht gegenüber Semper von seiner
großen Liebe, der abessinischen Prinzessin Machbuba,
die er in Kairo auf einem Sklavenmarkt erworben hatte. «Ich
war sofort fasziniert von dem makellosen Ebenmaß des
Wuchs dieser Wilden.» Die blutjunge, anmutige Prinzessin
war die vielleicht größte Liebe im Leben des Don
Juan Pückler. Er betete sie an und nahm sie mit in die
Lausitz, wo sie nach kurzer Zeit starb.
In
den Orientzimmern des Branitzer Schlosses kann die Totenmaske
des Mädchens noch heute betrachtet werden. Die Beziehung
der beiden ist ein Kuriosum der brandenburgischen Kulturgeschichte;
in Muskau, wo sie beerdigt ist, wurde ihr Grab noch bis Mitte
dieses Jahrhunderts von Einheimischen gepflegt. Die Orientzimmer
sind seit der umfangreichen Renovierung des Schlosses 1991
heute wieder in ihrer historischen Ausstattung zu besichtigen.
Die üppige Ausstattung der Räume zeigen die für
das 19. Jahrhundert typische Orientliebe Pücklers. Das
Interesse für das Fremde und Exotische war zu Pücklers
Zeit weit verbreitet.
Bildende
Kunst, Architektur und Musik waren von orientalischen Motiven
geprägt. Präsentationen des Orientalischen sollten
den Europäern die Macht und Überlegenheit der Kolonialherren
und die Verfügung über die Orientalen zeigen. Der
Orient war in zeitgenössischen Darstellungen und Vorstellungen
eine Welt der Stagnation, eine Welt ohne Veränderung.
Pückler
nimmt den Orient anders wahr. Er reist durch Tunesien und
ist angetan von der Effektivität des Rechtssystems. In
Ägypten bewundert er die Wirtschafts- und Verwaltungsreformen.
Pückler verfällt zum einen der Exotik und der Opulenz
des Orients, als er mit Machbuba und großem Hofstaat
als Staatsgast des ägyptischen Vizekönigs Muhammad
Ali auf einer Barke den Nil hinunterfährt. Er ist zum
anderen aber vorrangig doch ein Bildungsreisender, der im
Orient das Licht findet, das ihm in der Dunkelheit der Heimat
fehlt.
Semper
und Pückler verlassen das Schloss Branitz wieder und
kehren zurück zur Pyramide. Auf dem Rückweg dorthin
stellt sich ihnen eine weitere Pyramide in den Weg. Kleiner
als die erste, wird sie von einem gusseisernen Gitter gekrönt,
auf dem folgende Inschrift zu lesen steht: «Gräber
sind die Bergspitzen einer fernen neuen Welt.» Wir lesen
das optimistische Statement eines Menschen, der an die Wiedergeburt
glaubt. Eines Menschen, der die religiösen Vorstellungen
des alten Orients in sein Denken aufnahm und so ein wahrer
Weltbürger war. Der dabei stets zwei Parteien angehörte:
War er durch Geburt und Herkunft stets der Aristokrat, so
wurde er durch Reisen, Beobachtungen und Reflexion ein liberaler
Freigeist und Kosmopolit.
Und
Pückler war der Gartenkünstler, den sein Motto «Wir
sehnen uns so sehr nach der Freiheit der Bäume»
zur Verwirklichung seiner Lebensphilosophie im Branitzer Landschaftspark
bewegte.»
Leserbrief
©
Berliner Morgenpost 1999
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