Wandern durch die Zeit Pücklerkompendium mit kulturgeschichtlichem
Tiefgang
An diesem Buch kommt schwer jemand vorbei,
der sich aktuell, unterhaltsam und gleichzeitig wissenschaftlich
begründet der Pücklerforschung zuwenden will. Englandsouvenirs
Fürst Pücklers Reise 1826-1829 heißt
die jüngste Edition der Pücklerstiftung Bad Muskau
Repro: Michael Helbig
Illustration aus «Englandsouvenirs»
.«Englandsouvenirs»
Eine solide Arbeit, kurzweilig, klug die geschichtlichen
Fakten sondierend und Neuwert dokumentierend. Das Buch erfasst
Pückler in seiner Zeit und Wirkung, ohne palavernd vorhandene
Literatur zu wiederholen oder die Fehler der Schnellschreibzunft
zu kopieren.
Die Biografie des Fürsten Pückler lässt sich
freilich vage und unvollkommen in zwei Etappen
teilen: diejenige vor der Englandreise 1826-1829 und diejenige
danach. Denn fast alle wesentlichen literarischen Schöpfungen,
Landschaftsgestaltungen und kulturhistorischen Exkurse Hermann
Fürst von Pückler-Muskaus führen direkt oder
mittelbar darauf zurück. So war es eine glänzende
Idee, den Kunsthistoriker Michael Brey 1996 auf diese Spur
zu schicken. Mehrere Ausstellungsprojekte zu Pücklers
Reise nach England, Wales, Irland und Frankreich (1826-1829)
vermittelten in den vergangenen Jahren dazu Mosaikbilder.
Jetzt liefert das Buch das wirkliche Panorama der dadurch
forcierten Gedankenwelt. Der Gewinn: Erstmals werden die vier
Foliobände der Erinnerungsbilder mit der
originalen Englandkorrespondenz in eine notwendige und erhellende
Beziehung gebracht.
Bekanntlich fertigte Pückler sich vier Alben, eine Art
Reisetagebuch an. Darin finden sich Drucke, Karikaturen, diverse
Kommentare zu Sozialgeschichte, Alltagskultur, Landschaft
und Parkanlagen Englands. Diese Bücher befinden sich
je zur Hälfte im Besitz der Pückerstiftung Branitz
bzw. Hermann Graf von Pücklers (München) und werden
hier erstmals umfangreich referiert und in Reproduktionen
gezeigt. Pückler war damals auf Brautschau in England,
um über eine Vernunftheirat seinen Landschaftspark Muskau
zu sanieren. Die Reisebriefe an seine Frau Lucie nicht
ohne kommerziellen Spürsinn erschienen 1830 unter
dem Titel Briefe eines Verstorbenen. Aber es waren
trotz des literarischen Erfolgs nur geschönte,
frisierte Texte. Denn sowohl der Autor als auch die Herausgeber
mochten den eleganten, artigen Adelssohn zwischen den Buchdeckeln
sehen. Die originalen Brief e lagern als Kriegsbeute noch
in der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek, deren Kopien auf elektronischen
Medien in Branitz. Jene zogen Michael und Nicole Brey zu Rate
und komponierten aus Originalbriefen, Erinnerungsbildern
und Visite des heutigen englischen Parks ein Gesamtbild von
Pücklers Naturell.
So entstand eine kunstvolle essayistische Abhandlung über
markante Felder und Figuren der Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Die Existenzform des Reisens, der philosophische Ansatz des
Melancholikers Pückler, die Wahrnehmung seiner sozialen
und ästhetischen Ideen im heutigen Muskauer Park sind
nur einige Momente dieser Lektüre. Brey gelingt es anhand
der Originalbriefe überdies, in gescheiter Manier Pücklers
Charakter auszubalancieren. Seinen adligen Marotten und arroganten
Denkmustern (bspw. gegenüber den englischen Bordell-
und Zimmermädchen) sowie luxuriösen Lebenserwartungen
stehen Sensibilität, Bildung und innovatives Gestalten
gegenüber. Verschiedentlich können so bisherige
biografische Vermutungen oder leichthändige Behauptungen
anderer Autoren berichtigt werden.
Peter Goodchilds Beitrag zur englischen Gartenkunst und Pücklers
Kreation ist anschaulich, beziehungsreich und analytisch dicht
gearbeitet. Ausgezeichnet gelingt es dem Autor, die Koordinaten
von Landschaft-Mensch-Gesellschaft (also Kultur) in einem
Text-Netzwerk zu verankern. Pücklers Streben, in der
Landschaft Freiheit zu formulieren und den Geist gegen die
symmetrische Welt zu stellen, finden im englischen Landschaftsgarten
des 19. Jahrhunderts Entsprechungen und in Muskau und Branitz
schließlich eine eigenständige Ästhetik.
Christian Friedrich und Volkmar Herold (Pücklerstiftung
Park und Schloss Branitz) geben kenntnisreichen Einblick in
die gegenwärtige Lage des Pücklerarchivs und der
Pückler-Callenberg-Bibliothek von Branitz. Sieht man
von einigen unzulänglichen Fotoreproduktionen ab, so
ist dieser Aufsatz ein unentbehrliches Kompendium für
weiterführende Forschungen. Detailtreue, Quellensorgfalt
und populär gestaltetes Überblickswissen sind wohltuende
Merkmale des Beitrages. Es gibt derzeit keine knappere, zuverlässigere
Aufarbeitung dieses Themas. Die Erinnerungsbilder
betreute Beate Schneider (Pücklerstiftung Park und Schloss
Branitz) und lieferte eine prägnante Darstellung in Wort
und Bild. Sachkundig wurden Beispiele aus von Pückler
kommentierten Blättern aller vier Alben ausgewählt,
um ein zeitnahes Bild zu vermitteln.
Resümee: Dies ist eine der wichtigsten Pückler-Neueditionen
seit 1990. Fachkompetenz des Autorenteams, gründliche
Redaktion und überwiegend stilistische Klarheit sind
deren Merkmale. Ein marginaler Mangel sei vermerkt: das fehlende
Personenverzeichnis. Das Buch verweist indes darauf, dass
die Quellenlage nunmehr neue Schritte in der Pücklerforschung
ermöglicht, denn die ist mehr als Personengeschichte.
Bereits zweimal in dieser Zeitung avisiert, sei deshalb eine
Forderung erneuert: Wann findet sich ein Verlag bereit, die
Rechte zu prüfen und Pücklers Gesamtwerk
einschließlich der originalen Englandkorrespondenz und
Erinnerungsalben sowie unveröffentlichten Copy-Books
zu edieren? Die Englandsouvenirs könnten
dafür Impulsgeber sein.